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Ein Lyrikpreis
für Rob Kenius   Wahn und Wissen   Sonderpreis in der Rubrik Natur und Umwelt beim XXIII. Gedichtwettbewerb 2020 der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte. |
  Die Nacht der schlechten Texte: Literatur-Event in Österreich. Klick auf das Bild!     Publikumspreis an Rob Kenius mit der Dub-Geschichte "Auf dem Traumboot der Liebe"   |
Egoist*innen haben kein Charisma  99 schwere Waffen99 schwere Waffeneingesetzt im Krieg der Affen gegen einen Pavian, der im Besitz ist von Uran und sehr viel Land mit Bodenschätzen. Die Affen wollen es besetzen sie wollen an den guten Stoff. Sie kämpfen aber aus dem Off. Vor den Raketen und Kanonen wollen sie ihr Land verschonen. Man hat den Pavian umzingelt, bei dem hat der Alarm geklingelt, er ist ins Nachbarland marschiert damit die Aggression stagniert. Doch da regieren auch schon Affen und die sind geil auf schwere Waffen. In Kiew schreit man laut hurra! Wir kämpfen für die USA! Wir kämpfen für den freien Westen und wollen ihre Waffen testen. So kam es zu dem Krieg der Affen mit 99 schweren Waffen. 99 Friedensboten sehen Rauch aus allen Schloten und siebenhundert Demokraten die ihrem Führer dringend raten mehr Geld an diese Front zu schmeißen dann können sie auch besser scheißen auf den Frieden, auf die Toten auf 99 Friedensboten. 99 Zeilen weiter ist die Welt vielleicht gescheiter, so dass alle es kapieren, niemand kann die Welt regieren. Darum stoppt die Feuerreiter jetzt, und nicht erst 99 Zeilen weiter. 09.05.2022 |
  Die Nacht der schlechten Texte: Literatur-Event in Österreich. Klick auf das Bild!     Publikumspreis an Rob Kenius mit der Dub-Geschichte "Auf dem Traumboot der Liebe"     |
Wahn und Wissen   Einmal waren Berge wo heut die Wolken sind und wo einst Vögel sangen weht nur noch der Wind   Einmal wogten Felder wo jetzt die Wüste weht und drüben standen Wälder wo ihr Felsen seht   Die Achse verschiebt sich der Mensch merkt es kaum Ziel seines Fortschritts ist nur ein Traum   Einmal lebten Menschen auf der Planetenbahn doch über ihre Einsicht siegte der Größenwahn   Viele vergessen das was sie sind Tropfen im Wasser Spuren im Wind Sonderpreis in der Rubrik
Natur und Umwelt beim XXIII. Gedichtwettbewerb 2020 der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte.   |
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Über kritlit.de verteilte Verse, Songs und Lyrik:
  Wir sind hier, wir sind laut... 13 Silben Rap   Hip Hop Haribo   Ansichtskarte Camargue   Grafische Lyrik, Vorsicht Kunst!   Neue Texte auf alte Lieder   (Songs & Politik) |
Mädchen aus ShenzhenDie folgende Impression wurde zuerst veröffentlicht im Worthandel-Verlag, Dresden 2006. Es ist die Liebeserklärung an eine Namenlose, eine von Millionen Frauen und Mädchen, die in der Industriezone von Shenzhen/China und an vielen anderen Orten Asiens eure Handys, Smartphones, I-Phones, Computer, Jeans, Turnschuhe und andere Klamotten für einen Hungerlohn zusammensetzen.Der Geruch von dir und deinen Haaren, aus der Tiefe des Sumpfes, in dem du lebst, das gibt mir ein sicheres Zeichen in die Zukunft dieser Stadt. Schräge Strahlen fallen vom Westen aus der Sonne in die tiefe Häuserschlucht. Es ist überall hier und dort viel Arbeit zu tun, aber viele von uns tun sie nicht; sie tragen nur Tag und Nacht den Schweiß des Vergnügens an sich und enden schließlich auf einer Bank vor dem ewigen Bildschirm, bis die Zähne ihnen ausfallen vor Selbstvergessenheit.   Du fühlst dich so an, wie deine Arbeit sich anfühlt und deine sanften Hände. Deine Schultern tragen mit Leichtigkeit die Welt. Ich höre deine Stimme aus dem Handy; ich fühle deinen Stoff auf meiner Haut. Meine Laufschuhe tragen mich federnd bis in das Grenzgebiet, wo ich nach dir suche und fragend nach dir den Kopf verdrehe, bis ich schon am ersten Abend müde werde.   Sehnsucht ist rötliches Sonnenlicht. Sehnsucht ist schwarzer Baumwollstoff auf deinem Rücken. Ich lasse dich nicht fallen. Ich drücke auf deine Tasten, bewege dein winziges Bild hin und her, ich beleuchte dein Haar mit dem grünlichen Mondlicht geheimer Ziffern und Zeichen. Durch die Kanäle mit den höchsten Frequenzen sende ich meinen Herzschlag und die innere Energie vom anderen Ende.   Es ist eine Antwort auf die schwierige Frage in deinem Gesicht. Ein sanfter Handschlag, ein Hauch auf die Silhouette deiner Lippen. Dein erfreutes Lächeln und die Oszillation deiner Gedanken belohnen meinen Versuch und bestimmen meine Zeit schon sehr genau, genauer als bisher.   Langsam kommst du in meine Welt; denn wir haben Pläne, die sich ergänzen und das gleiche geduldige Wasser im Blut. Autor: 2005 alle Rechte vorbehalten letzte Änderung: 03.12.2014                                 |
1984 ist 2020
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Schlechtes Karma
Lesung bei Literatur um 8 in der Location Kulturcafé Lichtung, Ubierring 13, 50678 Köln
  Wer sich an die Zeit von Konrad Adenauer erinnert, dem wird aufgefallen sein, dass die Regierung Merkel IV die schlechteste Regierung ist, die wir je hatten. Vielleicht knapp erreicht von der Regierung Kiesinger 1966 - 1969. Der wichtigste Grund dafür, dass die Regierung so schlecht ist, ist der, dass keine Probleme gelöst werden.   Nun mag es sein, dass viele Menschen gar keine Probleme haben. Das ist mit Sicherheit so. Diese Leute brauchen dann gar keine Regierung, außer vielleicht, um sich von ihr bezahlen zu lassen.   Wer aber glaubt, dass man eine Regierung braucht, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, der ist frustriert und fühlt sich missachtet wenn nichts passiert. Zu diesen Frustrierten gehören alle, die sich irgendwie für die Zukunft interessieren. Das sind zum Beispiel Kinder, Jugendliche und Menschen, die selber Kinder und Enkel haben.   Wer versucht, in die Zukunft zu schauen, kann nur feststellen, dass es abwärts geht. Es geht abwärts mit den Chancen, einen guten Job zu bekommen, es geht abwärts mit den Chancen, gutes Geld zu verdienen. Es geht abwärts mit den Chancen, eine gute Wohnung zu bekommen. Das liegt daran, dass Wohnungen nicht in erster Linie zum Wohnen und zum Leben da sind, sondern als Investition von Geld. Denn Geld ist in riesigem Überfluss vorhanden.   Es geht abwärts mit unseren Nahrungsmitteln, nicht weil zu wenig da ist, sondern weil zu viel da ist. Die Qualität der Ware sinkt, weil Lebensmittel nicht in erster Linie zum Essen, sondern zum Geldverdienen produziert werden.   Es gibt ein Überangebot an Fleisch, Obst und Gemüse und die Ware liegt lange in den Läden, bis sie endlich gekauft oder weggeworfen wird. Tomaten, Apfelsinen und Frikadellen müssen haltbar sein. Was aber gut haltbar ist, ist schlecht verdaulich, es liegt auf dem Magen, es widersetzt sich der Verdauung und bleibt im Bauch stecken.   Dann geht es abwärts mit der Gesundheit, obwohl das Leben sich verlängert.   Das liegt nicht nur am Essen, sondern auch daran, dass Medikamente nicht zum Gesundwerden produziert werden, sondern zum Geldverdienen, weil Firmen sich Wirkstoffe patentieren lassen und die Preise selbst bestimmen. Das geht bis zum 100 und 200-fachen von dem, was die Herstellung der Medikamente kostet.   Die mangelnde Wirkung von Medikamenten liegt auch daran, dass Präparate, welche Krankheiten heilen, weniger Geld einbringen, als Medikamente, die Krankheiten begrenzen und eindämmen, und deshalb immer weiter eingenommen werden müssen.   Etwas Ähnliches gilt für Ärzte. Wer seine Patienten heilt, verdient weniger, als wer sie bestrahlt, mit Ultraschall und Computertomographie untersucht und dann wieder bestrahlt. Wer das macht, verdient ein Vielfaches von dem, was ein Arzt verdient, der sich im Krankenhaus um die Kranken kümmert.   Die unglücklichsten Lebewesen auf dem Planeten sind aber nicht die Menschen, auch nicht die Kranken, sondern Tiere, deren Leben keinen anderen Sinn hat, als für den Menschen Nahrung zu liefern. Es sind Milliarden Tiere auf diesem Planeten, die nur dazu leben, um gegessen zu werden und Nahrung zu produzieren.   An erster Stelle Geflügel, Rinder und Schweine.   Massentierhaltung und Massenschlachtung sind eine Schuld, die der Mensch auf sich lädt, weil er Unmengen an Fleisch, Milch und Eiern konsumieren muss. Wer viel Fleisch isst, will mehr Fleisch essen.   Das Ergebnis ist Übergewicht, Völlegefühl, schlechte Verdauung und schlechtes Karma. Viele merken es nicht, wie das schlechte Karma sich vermehrt und üble Laune erzeugt bis hin zur Aggressivität gegen alle, die anders sind.   Foto: Michael SteinrückeAber sensible junge Leute merken es doch!   Sie wollen kein Fleisch mehr essen, keine Milch mehr trinken, keine Schuhe aus Leder mehr tragen und nennen es vegan. Sie hoffen, dass sie durch ihre Haltung die Fehler der Allgemeinheit ausgleichen könnten und das Karma verbessern. Das hilft vielleicht denen, die es tun, aber den anderen kann es nicht helfen.   Die meisten Konsumenten in der freien westlichen Welt wissen nicht, was schlechtes Karma ist. Karma ist so etwas ähnliches wie das Gewissen mit einem Unterschied, es hat eine zusätzliche Eigenschaft: Das Karma es addiert sich. Das schlechte Karma wird immer mehr, je länger wir das Negative tun oder zulassen, dass es geschieht.   Unser Gewissen regt sich nur gelegentlich, wenn wir wieder einmal erfahren, wie Tiere in der Massentierhaltung behandelt werden. Wir haben es am nächsten Morgen schon wieder vergessen.   Dann geht man in den Supermarkt und kauft Eier, Milch und Fleisch wie immer, so viel wie gewohnt, weil diese Produkte so billig sind und sich uns in riesigen Mengen aufdrängen.   Gewissen hat mit Wissen zu tun. Wenn wir etwas nicht wissen oder es wieder vergessen haben, dann regt sich das Gewissen nicht mehr, es schläft ein wie eine Puppe. Dazu gibt es Ablenkung genug: Kriminalfilme, Nachrichten, Comedy. Selbst Cabaret lenkt uns davon ab, dass in der Politik, etwas geschehen müsste, sofort am nächste Tag, was aber seit vielen Jahren nicht geschieht.
Die Deutschen sind von Natur devotest, alluntertänigst, ehrfurchtvollst. Aus lauter Respekt vor den Ideen verwirklichen sie dieselben nicht.
  Das schlechte Karma sammelt sich an, es wird mehr und mehr, es vergiftet die Stimmung und die Psyche. Es verdirbt uns ständig den Geschmack am Essen, die Gesundheit und die Laune. Schlechtes Karma wird nicht weniger, sondern mehr durch Nichtstun, Vergessen und Schweigen.   Es hilft schon ein wenig, wenn wir ab und zu das Maul aufmachen und uns gegenseitig ins Gewissen reden, was hiermit wieder einmal geschehen ist.   2019 Nachdruck mit Quellenangabe kritlit.de |
Die Offene Wunde sind die USAVorgetragen beim Open-Mike-Event Die offene Wunde
im Low Budget, Köln, Aachener Str. 47, am 11.05.2019   Die offene Wunde, das sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA sind das Land mit den höchsten Staatsschulden und den höchste Privatschulden. Die Summe der amerikanischen Schulden macht mehr als ein Drittel aller Schulden der Welt aus.   Auf der anderen Seite steht die Wirtschaft der USA. Diese Wirtschaft produziert an erster Stelle nur Geld und an zweiter Stelle Rüstungsgüter, also Waffen. Das Volumen der Witrtschaft ist aber zu klein. Die USA haben ein riesiges Export-Defizit, das sie nur mit neuem Geld stopfen, das aber auf Schulden basiert.   Das Exportprodukt Nr. 1 ist der US-Dollar. Der Dollar ist durch internationale Verträge als Leitwährung abgesichert. Aber jedes Geld hat nur einen Wert, wenn dieser Wert anerkannt wird. Die Anerkennung und der Wert des Dollars gehen zurück, weil der Euro und auch die chinesische Währung dem Dollar Konkurrenz machen. Mit anderen Worten: Der Export von US-Dollars stößt an seine Grenzen.   Die Konsequenz daraus ist, dass die USA den Export von Waffen forcieren. Man versucht außerdem, mehr Ölreserven unter Kontrolle zu bringen. Das geschieht teils durch Fracking in den USA, teils durch Bedrohung und Militäraktionen gegen Ölförderländer wie Irak, Lybien, Iran und jetzt Venezuela.   Die amerikanischen Interessen an Waffen-Export und Kontrolle über Energie summieren sich beim Verhältnis gegenüber Russland. Russland hat riesige Vorkommen an Erdöl und Erdgas und es ist die einzige militärische Macht, vor der die USA Respekt haben. Die Russen können mit Atomraketen jede Stadt der USA erreichen. Obwohl die Militärausgaben der USA schon 13 mal so hoch sind, ist Russland als virtueller Feind für die Rüstungsindustrie unentbehrlich.   Aus diesen Gründen wird Russland von der NATO umzingelt und jetzt soll in Europa und Südasien noch mehr gegen Russland gerüstet werden, warum? Um den Export der USA zu stärken.   Viele Länder der EU wollen sich daran beteiligen. Das bedeutet, dass die EU die Kontrolle über sich selbst, als Organisation für den Frieden in Europa, verloren hat. Insbesondere Deutschland dürfte als Nachfolgestaat des Dritten Reiches gegenüber Russland nicht aggressiv auftreten. Der von Deutschland angezettelte Zweite Weltkrieg hat 27 Millionen Sowjetbürgen den Tod gebracht. Für neue Feindseligkeiten gibt es weder einen Grund, noch einen Anlass und schon gar keine moralische Rechtfertigung. Es ist militärischer Irrsinn.   Dass die Regierung in Berlin die Kriegsvorbereitungen der USA gegen den Willen der Bevölkerung mitmacht, ist nur möglich, weil die Regierung in Deutschland eine Meinungshoheit besitzt. Das haben wir nach dem Krieg, in Westdeutschland bisher nicht erlebt. Aber die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten haben sich zum Staatsfunk entwickelt, der durch Zwangsgebühren von allen Bürgern finanziert wird. Über Fernsehen und Rundfunk gibt es Meinungsmanipulation in bisher unbekanntem Ausmaß. Das Paradeschiff der Propaganda ist die Tagesschau. Die Tagesschau verkündet ungeniert jeden Abend die Auffassung der Regierung in Berlin und wird von der Mehrheit der Bevölkerung als Informationsquelle akzeptiert.   Die Meinungsmacht von ARD und ZDF und damit die Ansichten der Regierung werden von der Presse nicht in Frage gestellt. Das geschah früher durch den Spiegel. Die Printmedien sind durch das Internet unter Druck geraten. Die Presse schrumpft. Zeitungen reduzieren ihre Belegschaft und dabei verschwindet die Meinungsvielfalt.   Jeder, der die Taktik der Amerikaner und die Propaganda der Medien durchschaut, jeder ist aufgefordert, sich gegen die amerikanische Dominanz, gegen die Rüstung und für den Frieden einzusetzen.   Das musste mal gesagt werden.   2019 Nachdruck mit Quellenangabe kritlit.de |
Mehr Zukunft für alle!
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17.04.2019 Nachdruck mit Quellenangabe kritlit.de
Link zum ausführlichen EU-Essay:
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Der märzvogelwind
weht frühmorgens um fünf...   Da schoss es ihm blitzartig durch den Kopf: Es war jetzt November und elf Uhr abends. Der Märzvogelwind frühmorgens um fünf... das war das falsche Gedicht zur falschen Zeit! Aber jetzt war es zu spät. Er hielt sich an seiner Mappe fest, starrte ins Mikrofon und, obwohl ein leises Kichern im Publikum begann, öffnete er mutig seinen Mund:   wenn ein singender star mich weckt im grenzbereich zwischen tränen und wind...   Das Kichern wurde lauter. Andere Zuhörer zischten dagegen, um das Gelächter abzuwürgen. Von der Bühne aus gesehen stand über dem Publikum so etwas wie leichter Nebel, aber Dichter Dieter musste weiter lesen und er befürchtete schon, dass er mit dem Märzvogel-Wind heute nicht den ersten Preis gewinnen würde.   Halb stotternd, halb trotzig blieb er stecken. Er griff in die Mappe, legte das Blatt Märzvogel-Wind einmal um, blätterte wieder zurück, und setzte von Neuem an: zwischen tränen und wind...   Und wieder kam Lachen von der Theke her.   War es jetzt Verwirrung? War es Zufall oder eine geniale Idee? Dieter begann zu stottern, verlas sich, setzte neu an und veränderte halb aus Dusseligkeit, halb aus Trotz ein einziges kleines Wörtchen in seinem Text:   wenn ein... singeder star mich weckt im grenzbereich zwischen tränen und wind wurde ich beim Vögeln erschreckt...   Beim Vögeln erschreckt! Das Publikum brüllte vor Vergnügen. Dieser schüchterne Typ da mit seiner Mappe, beim Vögeln erschreckt! Die Kölsch-Studenten hoben ihre Gläser und prosteten ihm zu.   Dieter las stotternd weiter. Manchmal unterbrach er sich selbst und wartete, ob Gelächter aufkommen würde, und es kam! Dann las er wieder und veränderte ab und zu ein kleines Wörtchen. Er las auch verschiedene Varianten und schließlich schob er auch seine verzweifelten Nebengedanken ins Mikrofon.   ich warte auf dich... warum, warum warte ich denn? auf wen? auf dich? auf sie? nein ich sehne mich! Ja das ist besser:   Ich sehne mich und ich sehe die zeit Ich sehe die zeit? Kann ich Zeit sehen? aber ich sehe ja die zeit in herbststrohballen gerollt Was ist das jetzt schon wieder? Herbststrohballen? Was heißt das denn? sehe nicht die Zeit, ich sehe Strohballen!   Das, das ist eine Metapher! Im Herbst, da rollt die Zeit unter uns weg. beim Vögeln auf runden Strohballen.   Auch an dieser Stelle kam wieder ein lauter Brüller von der Theke her. Und das gehobene Publikum stieg langsam von seiner literarischen Erwartungshaltung herunter in die Niederungen des Amüsements und klatschte gnädigen Beifall. Dieter las, stotterte und improvisierte weiter: und, und ich zähle die stunden bis zweitausendzwei nein, besser die Nummern ich zähle die Nummern bis zweitausendzwei nein! Zweitausenddrei! danach ist es vorbei...   Dichter Nebel alias Dieter Nabel wurde der Sieger an diesem Abend und im nächsten Monat trat er wieder auf beim Kopfsalat. Er gewann noch einmal als verhinderter Poet, der den Kitsch seiner Poesie schüchtern, aber raffiniert dem Gelächter preisgab. Aus dem Poetry-Slam wurde eine Casting-Show für den Comedy-Nachwuchs und aus Dichter Nebel wurde ein erfolgreicher Comedy-Act. Die vorhergehende und die folgende Story aus dem Band                            Autor: 2012 alle Rechte vorbehalten Tahiti auf der Schildergasse
Kurze 10 min Version, wie bei "Literatur um 8" gelesen am 18.02.2016, Cafe Central, Köln
  Es war windig und kalt, besonders unten am Rhein. Der Wind zerrte wild an einer Plakatwand. Das Bild auf dem Poster zeigte eine Südseelandschaft mit einer großen Palme und auf dem weißen Sandstrand lag ein Mädchen in einem äußerst knappem Bikini. Sie machte Werbung für billige Flugreisen nach Tahiti. Dabei war leicht zu erkennen, dass die junge Frau in die Traumlandschaft nur hinein kopiert worden war.   Von der nächsten Straßeneinmündung her tauchte der rote Schnellaster einer Plakatfirma auf mit frischem Material. Die beiden Plakatankleber parkten ihren auffälligen Pick Up ziemlich unverschämt auf dem Bürgersteig. Sie luden als erstes eine kleine Leiter aus Aluminium ab. Dann machten sie sich daran, lose Papiefetzen von der Wand zu zupfen. Die Reklamebraut sah mit Schrecken ihr nahes Ende in der Südsee-Werbung auf sich zu kommen.   Ein Zittern ging durch die Landschaft auf dem Papier; sie wellte sich ein wenig und ganz langsam löste sich ein Fuß, ein Bein und schließlich der gesamte Unterleib der Schönen von der Werbefläche. Sie stieg vorsichtig in ihrem blauen Tanga-Slip auf die oberste Sprosse der bereitstehenden Aluminium-Leiter. Ihr Oberkörper löste sich aus dem Schatten der Palme und ehe es die beiden Reklame-Fritzen registrieren konnten, stieg die Südsee-Braut aus dem Bild über das Aluminium-Leiterchen bis aufs Trottoir.   Sie war wenigstens drei Meter groß.   Trotz ihrer Lebendigkeit schien sie nur zweidimensional zu sein, so flach wie dickes Papier. Von der Seite war beinahe nichts zu erkennen. Erst als der eine Werbe-Mann das Südsee-Plakat ganz abreißen wollte, stellte er verblüfft fest, dass sich auf dem Bild etwas verändert hatte: "Dat Mädsche is vum Plakat jehopst!" rief er verblüfft. "Die hat wohl Angst vor'm Abreiße jekrischt." "Isch han er doch nix jedonn."   Unterdessen wankte die Reklamebraut mit ihrer windschiefen Kontur schon am Rheinufer entlang und weil sie den Wind im Rücken hatte, kam sie schnell voran. So gelangte sie bis zur Innenstadt und ließ sich vor der Deutzer Brücke nach links treiben. Sie suchte ein Reisebüro, um dort ihren Werbevertrag einzulösen. Man hatte ihr nämlich für das appetitliche Foto und einige andere Gefälligkeiten eine echte Reise nach Tahiti versprochen.   Eine lebendige Dreimeter-Frau im Tanga-Slip mitten auf einer belebten Einkaufs-Straße zieht gewaltig die Blicke auf sich. Als der Wind sie versehentlich in die Nähe von Tram-Gleisen blies, kreischte laut die Straßenbahn. Der Fahrer ließ vor Schreck den Zug entgleisen und griff sofort zum Not-Telefon.   Am anderen Ende der Leitung meldete sich Britta, unsere freundliche Polizistin: "Dat is ja unerhört, ich komme sofort." Während Britta sich ein paar chice Handschellen in die Gesäßtasche steckte, erreichte die Sensationsmeldung von der frei herumlaufenden Reklamebraut bereits die nächste Fernsehdirektion. Ein Kamerateam mitsamt Reporter setzte sich in Bewegung und kam noch vor der Polizei in der Fußgänger-Zone an. Polizistin Britta war aber zuerst dran.   Die zwei Frauen schauten sich gegenseitig von oben bis unten an. Mit wachsendem Respekt. "Wieso bewegen Sie sich so leicht bekleidet durch die Fußgänger-Zone?" "Oh, entschuldigen Sie, das ist nicht meine Schuld. Ich bin über eine Vermittlungsagentur an diesen Job gekommen. Und die haben mich über den Tisch gelegt. Eine Zweitarbeitsfirma hat mich dann weiter vermittelt an diese Billigfluggesellschaft Null-Euro-Airline. Die haben mich verkackeiert. Ich habe keinen Cent mehr in der Tasche. Um mir was zum Anziehen zu kaufen. Ich bin froh, dass ich noch meinen Slip an habe. Der Tanga ist übrigens ein Luxus-Modell."   Das sehe ich, dachte Britta, sie griff unwillkürlich an ihre Gesäßtasche und stopfte die Handschellen tiefer nach unten. Dann fragte sie neugierig: "Und was haben Sie jetzt vor?" "Ich, ich demonstriere für bessere Arbeitsbedingungen, für Winterbekleidung und Foto-Shootings in der echten Südsee. Ich suche dringend nach einem Reisebüro, Frau Komissar, die Firma Null-Euro-Air schuldet mir einen Flug nach Tahiti." "Oh, Tahiti, das Reisebüro nach Ozeanien. Da müssen se hier über den Zebrastreifen und in die Schildergasse. Und am Ende um die Ecke bis zum Belgischen Konsulat. Die können ihnen bestimmt weiter helfen." "Oh, vielen Dank, Frau Polizei." "Nenn mich einfach Britta und halt die Backen steif!" "Leider ist das nicht so einfach, Britta, ich heiße Flitzi, ich bin so flach wie ein Poster." Die beiden Frauen lachten laut und verabschiedeten sich mit Affen-Handschlag wie die Mitglieder einer HipHop-Crew. Ich darf nicht so viel Aufsehen erregen, dachte Flitzi, wenn mehr Polizei auftaucht, gibt es Ärger. Doch der Ärger war schon da. Das Fernsehteam hatte nur auf den Abgang der Polizistin gewartet und versperrte der Reklamebraut den Weg. Ein zwergenhafter Reporter reckte seinen Arm mit dem Mikrofon nach oben, während er wild versuchte, einen mediengerechten Text zu formulieren: "Meine Damen und Herren, wir berichten hier schon seit Jahr und Tag über den Alltag in diesem gestressten Einwanderungsland. Durch den Einfluss von radikalen Islamisten ist der Konsum von knapper Badebekleidung so weit zurückgegangen, dass unsere Models arbeitslos werden und zu Protesten schreiten."   "Mach's kurz, du Zwerg", zischte Flitzi, "ich bin beinahe auf Abflug." "Oh, das macht nichts. Wir sind schon auf Sendung. Wie ist die Stimmung der demonstrierenden Models für Reizwäsche in der Außenwerbung?" "Die Plakat-Werbung in der Außenstadt? Die bringt nichts mehr; zu viel Wind und zu wenig Stoff. Oft müssen mehrere Mädchen auf einem Poster hinter winzigen Fetzen in der Kälte bibbern. Wir streiken für beheizte Werbeflächen und mehr Textil auf der Haut! Und weniger Gefälligkeits-Sex..."   Der Fernseh-Fuzzi nickte begeistert, das war ein Thema für das Vorabendprogramm, appetitanregend und fleischig. "Sie haben Recht, junge Frau. Es wäre genug Stoff vorhanden, um damit direkt für Textilien zu werben, ohne dabei so viel von ihrem bloßen Hintern zu zeigen." "Mein Hintern ist okay, Kleiner, nur ein wenig flach. Ich werbe nicht für Textil, sondern für Sonne. Aber ständig Sex mit Kollegen, das muss nicht sein, besonders nicht im Verkehr. Wir stehen ja meistens an einer Wand, wo Autofahrer im Stau hängen und uns durch ihre getönten Fensterscheiben anglotzen." Der Reporter nickte bestätigend und fabulierte: "Ja, liebe Autofahrer, immer die Hände hübsch am Steuer halten! Was Frau Flitzi da thematisiert, ist ein echtes Verkehrsproblem."   Vorsichtig schaltete er sein Mikrofon aus und machte flüsternd ein ganz persönliches Sonderangebot: "Hör mal, Süße, ich könnte dich ganz groß raus bringen. Im Fernsehen. Du brauchst nur zu mir ins Studio zu kommen, damit ich von dir ein paar exakte Standfotos mache. In verschiedenen Stellungen." "Was? Du Giftzwerg! Verschiedene Stellungen fürs Fernsehen? Du Wichser! Nur die fest Angestellten sind da in Stellungen, sie sitzen mit ihren dicken Ärschen auf den Gehältern, in Vollzeit und sicher. Uns Kreative behandeln sie wie Dreck! Ich will jetzt erst mal nach Tahiti! Mal ausspannen, ohne Spanner, ohne Kamera und ohne Obenohne und völlig ohne Sex! Nicht mal dran Fummeln. Verstehste? Und da kommst du mit Stellungen im Studio! Verpiss dich!"   Ein kräftiger Windstoß erfasste die plakative Schönheit und blies ihre zweidimensionale Gesamtheit in die Lüfte. Sie flog hoch oben über die ganze Stadt und landete direkt an der Rauhfaser-Tapete, da wo ich saß.   Die freche Flitzi war noch regenfeucht und blieb an der Wand kleben. Da hat sie mir das alles haarklein erzählt, bei einem Milch-Kaffee und ein paar Bio-Keksen, genau so, wie ich es aufgeschrieben habe. Und ich möchte dieser authentischen Geschichte auch nichts hinzufügen. Autor: 2012 alle Rechte vorbehaltenDie vorhergehende und die folgende Story stammen aus dem Band   Köln, wo wir uns trafen   |
Graffiti: AFRO, RIKS, PIAFF, BIK, EPY, DFF, EIVE, MOGLI, PB, AMOR, ZELP, EUROPA
Free JazzText-Impression einer wilden Free-Jazz-Session irgendwann und irgendwo. In Erinnerung an und zu Ehren von:Irene Schweizer, Peter Brötzmann, Han Bennink, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach, Mani Neumeier, Manfred Schoof, Gunter Hampel, Gerd Dudek, Paul Lovens, Dietrich Rauschtenberger. Und Robert Wenseler als Programm-Gestalter im Malteserkeller, Aachen.   Es ist Verlass auf den Bass. Und federnd nass im Gesicht ganz blass, chromatisch von oben bis unten gebürstet und blank poliert, harmonisch gezupft, synkopisch gerupft, tänzelnd akzentuiert. Der Schwager am Schlagzeug hat es zuerst kapiert. Er schlägt uns eine Schneise in das Dickicht der reinen Unvernunft, wo exotische Schlingrosen über moosig gelbe Baumstümpfe kriechen und dann langsam innerlich zerrosten. Wie der Westen im Osten. Bis das blanke Fell auf der Trommel krepiert.           Vorsicht hier irgendwo ist der akustische Untergrund mit Pop und neuromantischem Kitsch kontaminiert! Nicht stolpern und nicht versinken im stinkenden Klärschlamm der ständig sich wiederholenden Riffs. Nur ein falscher Griff in die Klamottenkiste und das Saxofon kotzt. Kotzt gelben Konfektions-Schleim über die glitschigen Geigen bis in den Zuschauerraum. Aber nein! Es ist Verlass auf den Bass und auch die Basstrommel stampft stur über Stock und Stein, Arm in Arm, so leicht legt man uns nicht rein! Wir wandeln auf dem Grat zwischen glaubwürdigem Chaos und ewig zerdeppertem Paradies.   Tom, Tom, sei jetzt nicht fies! Wir alle stürzen uns gemeinsam auf die spröde Snare. Ja, komm her! Wir legen uns auf diese Braut. Mit unseren unverschämten Sticks hämmern wir auf das Becken einen scharfen Twist und dann runter und rein in den Keller und dann von hinten drauf und immer schneller.   Einige der Zuhörer wissen es schon: An dieser Schwelle zur ersten Hölle explodiert ein Saxofon. Mit dem Kopf durch das Mundstück in den Hals und raus aus dem Trichter, raus und rein in das vollbesetzte Straßencafé. Und das Horn ist vorn.   Jetzt schnell ein paar frische flinke Fingerwirbel und noch mehr Beckenpeitsche und vorwärts drauf! Und dann direkt mit einem Satz über die Rampe ins Publikum. Keiner dreht sich um! Klangfetzen treiben uns vorwärts zwischen die Beine der Verwandten und Bekannten, wir blasen durch fremde Lippen, geigen durch verbotene Kanäle, eine verlogene und leicht verbogene Theologie. Aber ohne Absolution, absolut unberechenbar. Einfach einseifen, einpeitschen und gemeinsam reinreiten. Das ist unsere Politik.   Und am Himmel zwitschern die Triller mit dem plattgedrückten Daumen und der Mund bläst prall in die Backen, stößt ins Rohr. Der Drummer peitscht die Herde quer über den ausgetrockneten Fluss bis zur Grenze. Ganz hinten am Horizont die blauen Berge. Rinder, Millionen Rinder, Bullen, die sich aufbäumen und ihre gequälte Seele in die verseuchte Luft röhren. Das. Das.   Das alles bringt den rundköpfigen Schlagzeuger in seiner asketischen Schießbude noch nicht in Rage. Er streichelt sanft die Flanken der Becken und die Kante der Snare mit verdächtig dicken Stöcken doch ganz leise und verspielt, wie geflüstert, so scheinheilig fromm, und dann urplötzlich dreht er auf. Losgeprügelt, gehämmert, gerädert, getreten und hinabgestoßen! Bis dass, dass, dass die Motoren der antiken Rennwagen anspringen und mit verminderten Intervallen hysterisch aufheulen. Und im vollem Touren-Bereich geht es glissando in die gefürchtete Haarnadel-Kurve vor der Zielgeraden, haarscharf an der Planke entlang, wo der drahtige Bassist neben der Piste seine riesige Rotzfahne schwingt.   Das ist das Zeichen zum endgültigen Überfall. Sie attackieren im Fünfer-Takt, durchbrechen die letzte melodische Absperrung und ruck zuck, atonal, rat-at-at irrational dringen sie randalierend über die Hauptstraße des Filmdorfes mit ihren drohenden Bassläufen und schlingernden Doppelschlägen ohne jeden Widerstand in das Innere der Zentralbank direkt in den Tresor.   Das Metall schreit und brüllt. Es glüht und biegt sich, die Haut auf den Trommeln dröhnt, sie brennt und wirft Blasen und immer noch halten die straff gespannten Felle, Saiten und Drähte des Sicherheitssystems, sie schwingen und kreischen in Resonanzen und in Dissonanzen mit den stampfenden Hufen der fliehenden Herde von Rindern, Elefanten, Giraffen und gaffenden Zuschauermassen, bis dass, dass, dass der Bass, ja der Bass den Schweißbrenner übertönt und die Saxofone prusten laut los und alle stürzen sich taumelnd auf die nackte Beute.   Autor: , 2012 alle Rechte vorbehalten        Verspätete Literaturkritik:
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Graffiti: RIKS, PIAFF, BIK, EPY, DFF, ZELP, EIVE, MOGLI, PB, AMOR, CARE, EUROPA
Graffiti: RIKS, PIAFF, BIK, EPY, DFF, ZELP, EIVE, AFRO, PB, AMOR, CARE, EUROPA
Er ging alleine die Stufen zur Wiese hinunter, um noch besser in den Himmel blicken zu können, trat ein paar Schritte vor, zu den Felsbrocken hin, wo seine jüngsten Enkel und ein Urenkel spielten, und auf einmal sackte er zusammen und lag einfach da, die Augen weit geöffnet, nach oben in den Himmel gerichtet. Einen glücklicheren Tod konnte sich niemand vorstellen. Keine Krankheit, keine Ärzte, kein Hospital, keine Probleme. Seine Frau Anna dagegen hatte schon seit längerer Zeit Schmerzen im Rücken, das kam vom vielen Arbeiten auf den Feldern. Sie blieb stolz, hielt den Kopf hoch, den Rücken steif und beklagte sich nicht. Nach dem Tode ihres Mannes bekam sie es auch am Herzen, das konnte sie nicht mehr verbergen. Da wurde sie von Benjamin nach Nairobi geholt und schließlich ins Krankenhaus gebracht. Vor dem Hospital befindet sich ein offener Versammlungsraum; da treffen sich, wenn die Toten zur Beerdigung freigegeben werden, die nächsten Angehörigen. Es gibt eine kleine Totenfeier im engsten Familienkreis. Der Sarg wird geöffnet. Sie trauern laut, einige tanzen langsam im Kreis, andere knien sich nieder, halten den Rand des Sarges fest und schauen den Toten direkt ins Gesicht. Die Gesichter sind dunkler als die der Lebenden; denn die Leichen wurden erst einbalsamiert und dann eingefroren, es scheint, dass sie tiefer schlafen als alle anderen Toten. Viele Familien laden dann den Sarg auf das Dach ihres Autos. Die Reise geht aufs Land zum Heimatdorf der Verstorbenen, wo sie auf dem eigenen Boden bestattet werden. Um den Sarg der Mutter Omolo waren fünfzig Personen versammelt, von denen wollten die meisten später in dem Bus fünf Tage mit aufs Land fahren, einige hatten eigene Autos. Sarah, Irena und die anderen Schwestern setzten sich in das dunkelblaue Polizeifahrzeug zu beiden Seiten des Sarges. Die Fahrer warteten respektvoll, aber sie drängten auch darauf, dass die Fahrt endlich los ging, damit sie ihr Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen konnten. Nur eine der Schwestern fehlte noch, sie wohnt in der Stadt Kisii, die direkt am Wege liegt. Die letzten Formalitäten am Ausgangstor des Hospitals für die Freigabe der Beerdigung wurden von Pastor Ben erledigt, dazu musste er die bezahlte Krankenhaus-Rechnung vorlegen, und dann fuhr der Transport raus aus der Stadt nach Norden in die Berge, wo Gemüsebauern wie immer am Straßenrand hockten und ihre Waren verkauften. Dort wachsen an den kühlen Hängen für Afrika so exotische Dinge wie Weißkohl, Erbsen, Möhren und gelbe Pflaumen. Der dunkelblaue Polizeiwagen ist mit einem roten Banner als Leichentransport gekennzeichnet. Die Frauen, die mit ihren Körben und Tüchern am Straßenrand sitzen und Gemüse verkaufen, lassen bei diesem Anblick die Hände sinken, sie neigen die Köpfe und pressen ihre Kinder fester an die Brust, einige bekreuzigen sich. Hinten auf dem Wagen unter der Plane haben die fünf Schwestern begonnen, laut zu beten und religiöse Lieder zu singen; sie singen in drei Sprachen: Englisch, Luo und Kiswahili, wenn die Mutter noch leben würde, wären es vier; Anna Omolo konnte lateinische Kirchenlieder singen, obwohl sie nur vier Jahre zur Schule ging. Als sie gerade sechzehn war, hatte sie Joseph Ochien geheiratet, der schon ein richtig erwachsener Mann war. Wenn die Frauen hinten auf dem Wagen für eine Weile verstummen, singen die beiden Polizisten als Repräsentanten der männlichen Angehörigen, obwohl sie keine Verwandten sind. Hinten auf dem Pick Up, bei der weiblichen Leiche sind nach den Gesetzen der Luo keine Männer erlaubt. Es ist eine Fahrt quer durch das ganze Land. Senkrecht steht die Sonne am Mittag und keiner beachtet die Hinweisschilder auf den Äquator. Keiner sieht die vulkanischen Berge und Täler, die Kraterseen und die schwach rosarote Wolke der Flamingos, keiner winkt den Affen, die mit ihren obszönen Gesten am Straßenrand auf Bäumen und Felsen hocken, unbeachtet bleiben Zebras in der Steppe und niemand taucht seine Blicke in die ultragrünen Matten der Teefelder in 2500 Metern Höhe. Städte werden von der Durchgangsstraße kaum berührt. Sie sind aus der Ferne zu erkennen: Nakuru, Eldoret, Kericho, dann Kisii. In Kisii wohnt die sechste der Schwestern. Durch diese Stadt geht die Route mitten hindurch.
Es ist spät am Nachmittag, die Kraft der Sonne hat nachgelassen. In einer Straßenkurve flaniert schon eine junge Prostituierte auf Kundenfang. Mit aufreizendem Gang geht sie langsam in die gleiche Richtung die Straße hinunter wie der dunkelblaue Polizeiwagen mit dem Sarg, das Mädchen ist etwa fünfzehn Jahre alt und scheint leicht betrunken zu sein.
Sie parken den Pick-Up am Straßenrand. Die beiden Fahrer verschwinden in einem Restaurant und die Frauen gehen ihre Schwester suchen, die noch nichts davon weiß. Das Strichmädchen hat sich beschämt verdrückt. Mit der Polizei und mit dem Tod will sie nichts zu tun haben, aber AIDS ist überall, das sagen die Plakate die hier noch an den Hauswänden kleben. Die Poster sind alt und ziemlich vergilbt; AIDS haben sie hier schon fast wieder vergessen. Nach einer halben Stunde tauchen alle wieder auf. Ruth war einmal die schönste der Schwestern; jetzt ist sie nur noch von Tränen überströmt und völlig fassungslos. Vorsichtig wird sie von den anderen neben den Sarg ins Auto gesetzt.
"Wie weit ist es noch?" fragt der junge Polizist, der sich jetzt ans Steuer gesetzt hat.
Die Straße schlängelt sich durch Kisii an der grün glitzernden Moschee und dann am Markt vorbei. Der Markt ist menschenleer und nur an den riesigen Haufen von Abfällen zu erkennen. Danach geht es durch eine parkartige Landschaft voller Blumen und Bananenstauden in die Berge. Mal steht die Sonne rechts, mal links, mal scheint sie dem Fahrer direkt in's Gesicht, so dass er die Schlaglöcher und die gefährlichen Straßenwellen kaum erkennen kann. Und da! Vorsicht! Auf der Straße liegt etwas! Scharfes Bremsen, der Sarg rutscht, die Frauen kreischen. Der Wagen kann gerade noch ausweichen. Auf dem rauen Asphalt liegt der leblose Körper eines jungen Mannes, äußerlich nur am Kopf verletzt, aber wahrscheinlich ist er schon tot. Der Anblick wäre ein Schock, wenn sie nicht mit der Leiche der Mutter unterwegs wären. Der Mann liegt mitten auf der Fahrbahn, überfahren durch einem LKW, oder er ist von einem überladenen Kleinbus heruntergefallen - vielleicht auch beides. Die zwei Polizisten können nicht einfach vorbeifahren, sie müssen etwas unternehmen. Zum Glück haben sie ein Handy und entlang dieser Straße gibt es eine lückenlose Funkverbindung. So erreichen sie die zuständige Polizeistation in zwanzig Kilometern Entfernung. Die Kollegen wissen aber schon, dass da einer liegt. Eine Streife ist bereits unterwegs, es gibt nichts zu tun, als ein Warndreieck aufzustellen. Ein paar einheimische Burschen sind aufgetaucht, die sollen den Toten bewachen, bis die Streife kommt.
Die Sonne steht jetzt nur noch zwei Finger breit über dem Horizont. Wenn sie den Horizont berührt, wird es sehr schnell dunkel. Alle sind müde und sehr still nach der langen Fahrt. Sarah schaut immer wieder von hinten durch die Trennscheibe zu den Fahrern und weiter nach vorne auf die Straße, um die Stelle zu finden, wo der Weg zu ihrem Elternhaus abbiegt.
Und endlich erreichten sie die Abzweigung bei Sonnenuntergang.
Die Fahrt ins Gelände beginnt. Gut aufpassen und festhalten, tiefe Fahrrinnen, schroffe Steine, es geht kaum schneller als zu Fuß. Die Erde ist rot und sehr feucht, hier hat es kürzlich noch geregnet. Alles zieht sich in die Länge, der Weg, die Schatten, die Trauer, das Leben, die Gedanken. Die Schönheit der Landschaft wird zum Traum. Zuckerrohrfelder. Sie sehen harmlos aus wie riesige wilde Wiesen. Nach drei Jahren kommt eine Kolonne junger Männer mit ihren Macheten, die das Zuckerrohr schlagen, es ist dann so stark wie eine kräftige Bambusstange. Auf den Feldern bleibt alles liegen, was nicht wenigstens zwei Finger dick ist. Das wird von den Kindern gewisser Familien eingesammelt. Die Eltern brennen daraus einen vorzüglichen Schnaps, er wird zweimal destilliert und dann in Bierflaschen gefüllt. Ein halber Liter kostet vierzig Shilling, etwa 40 Cent in europäischer Währung. Der Schnaps ist natürlich illegal. Aber wen kümmert das? Die Polizei hat nicht einmal die Möglichkeit, Alkohol im Blut festzustellen. Kein Wunder, dass ein Viertel aller Männer in dieser Gegend Alkoholiker sind, und tödliche Autounfälle wegen betrunkener Fahrer gibt es an jedem Wochenende. Das Schlimmste tritt ein, wenn ein Matatu, so ein Minibus, der zwanzig Personen transportiert, in einen Unfall verwickelt wird. Besser gar nicht daran denken.
Auf einmal schlägt Sarah mit der flachen Hand gegen die Zwischenwand zwischen dem Laderaum und der Fahrkabine und schreit laut:
Der Fahrer dreht seinen Kopf etwas zur Seite und nickt mit einer leichten Verbeugung; er weiß, was er zu tun hat: Langsam und gleichmäßig beginnt er im Sekundenabstand mit der lauten Polizeihupe zu tuuten. Tuut, tuut, tuut, tuut... Ein paar buntgekleidete Frauen tauchen links zwischen den Büschen auf. Sie sehen das Auto und fangen sofort an zu kreischen, so laut sie können, ganz hoch und schrill, lebendige Trillerpfeifen. Erst sind es drei, dann zehn, dann dreißig dann hundert, es will nicht aufhören, von allen Seiten kommen Frauen und Mädchen, die irgendwo an der Piste zwischen Büschen und dem Haus den ganzen Tag gesessen und gewartet haben und alle schreien, so laut sie können, diesen Trillerpfeifen-Ton. Ein Schrei des Schmerzes, der aus der Erde kommt, aus den Steinen des Weges und aus der brennenden Sonne, der Schmerz des Todes und der Geburt und der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Als das Haus links auftaucht, sind es bald zweihundert Frauen, Mädchen, Kinder und ein paar junge Burschen, alle laufen zusammen, umringen den Leichenwagen. Die am nächsten sind, strecken die Arme aus und versuchten mit ihren Händen das Blech des Autos zu berühren. Jede der Frauen schreit und moduliert ihren Ton ein wenig anders und das steigert sich zu einer grellen Disharmonie. Es schwillt an zum schrillsten und lautesten Schrei, den ein Mensch je gehört hat. So könnten die Fanfaren des Gerichtes klingen, wenn am jüngsten Tag die Toten auferweckt werden. Aber es war der dreißigste Oktober des Jahres 2013, es wurden keine Toten auferweckt. Wie ein Blitz zuckte es durch die Köpfe: Wer bei diesem Schrei nicht aufwacht, der ist wirklich tot. Die Mutter Anna Omolo wurde nicht mehr wach, sie war endlich heimgekehrt. | ||
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